Hommage

Mike D. Daly, Aktions - und Performancekünstler

H o m m a g e

an Lorose Keller

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde

Heute wird mir die große Ehre zuteil, eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Kölner Kunst- und Kulturszene zu verabschieden. Eine überaus verantwortungsvolle Aufgabe, der die Stadt Köln versäumt hat, nachzukommen, obwohl Lorose Keller ihr in den letzten 30 Jahren etliche kulturelle Dienste erwiesen hat, deren Wert nicht zu unterschätzen ist. Umso freudiger nehme ich die mir von Lorose angewiesene Rolle wahr, auch unter Berücksichtigung der großen Kooperationsbereitschaft, mit der sie sich auf meine Anfragen nach künstlerischer Mitarbeit stets spontan zur Verfügung stellte. Gehe ich die Kette der Erinnerungen zurück, darf ich - nicht ohne einen Schauer, der mir über den Rücken läuft - auf die Umstände zurückblicken, die zu unserer ersten Begegnung führten.

Seinerzeit, ich war damals während meines Studiums beim Kölner Kunstverein beschäftigt, sprach mich einer meiner Kollegen auf Lorose an, die mir zu jenem Zeitpunkt lediglich namentlich, als "Enfant terrible" der Kunstszene bekannt war, und empfahl mir ein von ihr gerade publiziertes Buch, welches u.a. gewisse Gegenden in der Sinaiwüste beschreibt, in welcher ich das außerordentliche Vergnügen hatte, schon einige Jahre zuvor zu vegetieren. Der Hinweis wurde dankbar angenommen, jedoch ohne diesem jetzt schon besondere Bedeutung zuzumessen. Erst am Abend kam mir der kleine Band mit dem Titel "Die fliegende Braut" wieder in die Hände, und mir fiel sogleich das Synonym der Autorin auf: Norma Varnhagen. Die Sache wurde sofort interessant, denn eine Familie Varnhagen war mir bekannt. Allerdings konnte ich noch keinen Zusammenhang entdecken. Dies änderte sich aber schlagartig, als ich die ersten Zeilen überflog: Lorose Keller, geboren in Iserlohn am Karnacksweg. Das traf mich wie ein Blitz. Bilder meiner frühen Teenagerzeit sprudelten aus meinem Unterbewusstsein empor: Der Karnacksweg, mein täglicher Canossagang zum Märkischen Gymnasium, an welchem nur die übelsten Erinnerungen der Qual und des Abscheus hingen. Ich konnte es nicht fassen, dass jemand dort das Licht der Welt erblicken sollte. Die Söhne der Großindustrieellenfamilie Varnhagen waren meine damaligen Schulkameraden. Aber es sollte noch besser kommen: Buchstaben Worte, Sätze flogen an mir vorbei: Köln, dann die Fahrt nach Israel, Jerusalem, Teppichhändler, Teestuben, Danish Teahouse, alles mir bekannte Lokalitäten. Plätze, geladen mit ungeheurer Dynamik und Energie. 200 Jahre Weltgeschichte. Alles Teil meiner glorreichen Vergangenheit. Mir stockte der Atem: Ich flog mit der fliegenden Braut durchs Universum und konnte es nicht fassen. Kann es noch eine Steigerung geben ? Mittlerweile stand ich senkrecht im Bett. Und dann dieses: Deine Fahrt ins Sinai, Nueiba Terrabin. Völlig unfassbar für mich. Dort hatte ich drei Jahre meines Lebens verbracht. Und dann Omar - Roma - Amor. Jetzt war mir auch das Autorensynonym klar: Norma. In der Verschmelzung der Namen feierst Du bereits die Göttliche Sycigie, das Mysterium der Conjunctio: Seraf und Serafita, Tristan und Isolde. Du besitzt den Mut und die Dreistigkeit, dich auf eine Stufe mit den ganz Großen zu stellen. Göttergleich Dich über die Erbärmlichkeit der Menschen zu erheben. Grandios. Famos. Sensationell. Wie betäubt fuhr ich in rasender Geschwindigkeit über die Zeilen, die auf Deine Ankunft in Terrabin folgten. In die Felsen eingemeißelte Buchstaben. Buchstaben, die von mir selbst in den Fels eingeritzt wurden. Im Jahr 1980. Vor mir verschwamm alles. Und dann der Gipfel: Omar, der Sohn des Scheichs. Den kannte ich noch als 15-jährigen Jungen, also exakt fünfzehn Jahre vor Dir. Berauscht und halöb ohnmächtig beschloss ich, Dich umgehend kennenzulernen. Die Gelegenheit hierzu sollte sich bald ergeben. Bei einer Deiner zahlreichen Lesungen im Schwulenbuchladen in der Kettengasse, wo Du aus Deiner "Apokalypsaia" rezitiertest und einige Deiner Gedichte zum besten gabst. Unmittelbar nach der Vorstellung kamst du direkt auf mich zu und die Unterhaltung, die dann folgte, war die zweier Menschen, die sich seit Ewigkeiten kennen. Der Blick ins Auge des Gegenübers ist für mich immer der entscheidende Punkt des Kennenlernens. Und hier war einiges zu erkennen. Dein messerscharfer, durchdringender "unschuldiger" Blick, der alles wahrnimmt, aber keine direkte Reaktion zeigt. Beachtlich. Es folgten einige Treffen privatissime. Und auch ein Film über Dich, der im Rahmen einer Performanceveranstaltung "Mysterium Conjunktionis" Im Juni 1996 gezeigt wurde.

An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass Du die einzige deutsche Schauspielerin bist, die im letzten Film des hervorragenden italienischen Regisseurs Federico Fellini, "Die Stimme des Mondes", eine tragende Rolle, die der Duchessa Alba, gespielt hast.

Du hast fast alle großen Rollen der griechischen Klassiker studiert und in Hauptrollen von Goethe, Kleist und Shakespeare geglänzt. Aber Du hast dafür keine adäquate Würdigung der Stadt Köln erhalten. Das ist wieder einmal ein Beispiel dafür, dass Künstler, die sich außerhalb des Raum-Zeit-Kontinuums bewegen - und das sollte eigentlich jeder Künstler, der seine Aufgabe ernst nimmt - von offizieller Seite keine positive Bestätigung bekommen.

Da Du als Multitalent auch der Malerei einen Teil Deiner Zeit gewidmet hast, darf diese im Gesamtkunstwerk Lorose Keller nicht unerwähnt bleiben. Arbeiten wie "König Ubu", "Femina", "Undine" und "Lebensmusik", um nur einige Deiner zahlreichen Gemälde zu nennen, zeugen vom Reichtum Deiner Phantasie. Du hast sie global als phantastischen Realismus bezeichnet. Besonders herausheben möchte ich die 1980 entstandene Arbeit "Totentanz", welche die Seelenlosigkeit und Kommunikationsarmut gerade der heutigen Zeit reflektiert. Was in den achtziger Jahren noch persiflierend, halb scherzhaft dargestellt wurde, war für Dich schon die Vision kommender Jahrzehnte. Wie recht Du hattest.

Zahlreiche Hörspielkassetten, wie "Spinnst Du ?", "2000", "Requiem für Osiris", um nur einige zu nennen, vervollkommnen Dein Werk, sind Dein Nachlass für die Hinterbliebenen.

Als ich Dich vor einigen Jahren in Deinem damals neuen Domizil in der Alpener Straße aufsuchte, war mir sofort klar, dass Du dort fehl am Platz sein musstest. In Kenntnis Deines ständig wachsenden Lebensenthusiasmus´, Deiner niemals versiegenden Neugierde auf die Geheimnisse des Lebens und Deines Tatendrangs - welchen ich in einer solchen Dynamik bei einem über siebzigjährigen Menschen noch nie erlebt habe - wusste eich gleich, dass es Dich dort nicht lange halten würde.

Deinem Entschluss, nach überstandener tödlicher Krankheit, Deinen eigenen Tod zu zelebrieren, um dann in letzter Konsequenz Deinen Schriften Taten folgen zu lassen, muss ich mit großem Respekt begegnen, und dich kann die Entscheidung, Deinem bisherigen Leben eine Zäsur zu setzen, trotz Trauer um den Verlust einer für mich eminent wichtigen Künstlerpersönlichkeit, nur begrüßen.

Ich darf Dir, liebe Lorose, die Du schon sooft - auch unwissentlich - mein rettender Engel warst, alles erdenklich Gute, viel Kraft und noch mehr Erkenntnis auf Deinem letzten "Karnaksweg", dem universellen Karnaksweg, wünschen. Es würde mich nicht wundern, wenn wir uns noch einmal begegnen. Irgendwo.

Insh´Allah